Geschichte des Bilchs als Nutztier


Quelle: Arnold Freiherr von Vietinghoff-Riesch: "Der Siebenschläfer (Glis glis L.)". VEB Gustav Fischer Verlag Jena, 1960, S. 80ff. Die Fußnotennumerierung folgt nicht dem Original; außerdem habe ich dort, wo der Text bereits auf dieser Website vorhanden ist, statt auf Vietinghoff-Rieschs Literaturverzeichnis gleich auf die Quelle verwiesen.

Schon gegen den Ausgang des 2. Jahrhunderts v. Chr. kannten die römischen Feinschmecker den italienischen Bilch als Delikatesse. Später ließ man ihn fangen, um ihn dann in den sogenannten "Glirarien" zu mästen; nicht nur die luxuriösen suburbanen Villen von Rom ließen sich mit Bilchen beliefern, sondern auch Landhäuser, wie die von Bajae, wohin der Bauer nach Martial "zum Gruß aus dem Wald schlafsüchtige Bilche bringt". [siehe Lateinische Quellen zum Bilch]

Der Erfinder der "Glirarien" ist ein Zeitgenosse des Lukullus namens Fulvius Lupinus1. Die von ihm gebauten Tiergärten - Zuchtanstalten für Siebenschläfer also - mußten ringsum von einer Mauer umgeben sein, die mit glatten Quadern erbaut oder doch mit glattem Mörtel überzogen waren, um den Bilchen ein Hinausklettern unmöglich zu machen. Im Innern eines solchen Glirariums mußten Eichbäume stehen2. Außerdem machte man für Siebenschläfer geräumige Höhlungen zurecht, in denen sie werfen konnten. Wasser wurde nur wenig geboten, da man annahm, daß sie kaum tränken und einen trockenen Wohnplatz liebten. Zum Mästen fischte man sich die geeignetsten heraus und steckte sie in große faßartige irdene Töpfe von 60 cm Durchmesser - dolia -, deren Erfinder ebenfalls Lupinus war. Ihre Innenwandung besaß Stufen und Höhlungen zum Verstecken der Nahrung. Das Faß hatte zwar zahlreiche Luftlöcher, wurde aber dunkel gehalten und oben mit einem Gitter bedeckt; gefüttert wurde mit Eicheln, Walnüssen, Kastanien und Obst. In den Glirarien wurden, wie Plautus es ausdrückt, "ganze Schwärme", wie Varro sagt, "große Herden" gehalten3. Bei der Auswahl der Mastbilche galt die abergläubische Regel, nur Bilche aus dem gleichen Ort zusammenzustecken4, da sonst unfehlbar der schwächere vom stärkeren aufgefressen würde. Das Bilchmästen setzte viel Verständnis und Liebe zur Sache voraus, denn die spätrömischen Schlemmer wünschten, ihren Gästen möglichst große und schwere Tiere vorzusetzen; Amianus Marcellinus [siehe Lateinische Quellen zum Bilch] erzählt voll Entrüstung, man stelle während der Mahlzeiten Waagen auf, um die servierten Bilche zu wiegen, ja Notare (notarii) würden beigezogen, um die Ziffern zu kontrollieren und mit ihrem Siegel zu bestätigen, welch ungewöhnlich große Siebenschläfer der Gastgeber habe auftischen lassen. Bei der komisch-protzigen Mahlzeit, die ein gewisser Trimalchos gab, wurden die Siebenschläfer honigbestrichen und mohnbestreut serviert. Die 78 v. Chr. erlassene Lex Aemilia schritt gegen kulinarische Auswüchse ein und verbot mit Muscheln und exotischem Geflügel zusammen auch die Siebenschläfer, doch verlief dieses Anti-Luxusgesetz im Sande, und zur Zeit des Kaisers Diokletian (284-305) werden für 10 Siebenschläfer 400 Denare entrichtet5. Rezepte zur Zubereitung, insbesondere zu Gewürzfleisch, gibt Apicius [siehe Ein römisches Bilchrezept], doch scheint der Brauch später nicht mehr befolgt zu sein; man begann, sich vor den Bilchen zu ekeln, sei es, weil sie abgezogenen Ratten glichen, sei es, daß ihr Fleisch nicht mehr recht munden wollte. Frhr. v. Valvasor [siehe Von dem so genannten Thierlein Billich] meldete 1689 von den krainischen Bilchen, "daß sie trefflich feist und viel mehr Fettes als Fleisches haben, daher sie am besten seynd zu braten. Viel sowohl Edel- als Bürgers-Leute scheuen und enthalten sich dieser Speise, insbesonderheit die Weibs-Bilder. Etliche wenden dieses zu einer Ursach sothanes Eckels vor, daß der Teufel diese Thiere unterhält und weidet; etliche aber dieses, daß sie den Ratzen schier gleich sehen. Der Bauersmann aber hat destoweniger Scheu dafür, und empfindt darüber sogar kein Grauen, daß er sie in Hafer, Fässer (oder Tonnen) einsalzt und den gantzen Winter dran zu fressen hat. An theils Orten wird mancher Bauer etliche tausend einsaltzen".

Zu Joh. Matth. Bechsteins6 Zeiten, Anfang des 19. Jahrhunderts, wurde der in der Unterkrain massenhaft vorkommende Bilch von Arm und Reich als Delikatesse angesehen. Auch das Fett diente der ländlichen Bevölkerung in guten Bucheckernjahren zum Braten und war höher geschätzt als Butter. Es habe, sagt Bechstein, die merkwürdige Eigenschaft, auch bei Kälte flüssig zu bleiben. Der Preis für einen fetten Siebenschläfer betrug damals 2-3 Kreuzer. Hundert Jahre später stand der Bilch in Südosteuropa immer noch als Braten, abgebrüht und samt Schwarte zubereitet hoch im Kurs, besonders, wenn die Tiere so fett waren, daß in den Kellerräumen der Häuser sich herumtreibende Siebenschläfer einen "Silberstreifen" am Boden hinterließen7. Bei den südsteirischen Slovenen gilt sein Fleisch, das einen angenehmen Beigeschmack nach Nüssen und Mandeln haben soll, als Leckerbissen8. In Frankreich wird heute noch der Siebenschläfer als Delikatesse geschätzt, weil sein Fleisch weiß und zart ist und einen angenehmen Geschmack besitzt - wovon wir uns bei den Bilchen des Deister, die wir trotz Naturschutzverordnung in der Zeit der Not, in den Sommern 1946-1948, verzehrten, nicht unbedingt überzeugen konnten. Ein am Gardasee 1959 von mir befragter alter Italiener, der den Siebenschläfer nicht nur gut kannte, sondern ihn auch als argen Schädling fing, wußte als einer der wenigen, die ihn auch noch verzehrten, auf meine Frage nach seiner Zubereitung nur zu antworten "wie die Singvögel"! - Das ließ tief blicken.

Auch in der Medizin fand der Siebenschläfer Verwendung. Sein Fett wurde als Gliris pingue von den römischen Ärzten ebenso verordnet wie Bilchfelle (deglupti)9. Nach Bechstein diente das Fett noch um die Wende des 18./19. Jahrhunderts als bewährtes Mittel, um erfrorene Füße einzureiben.

Von den Fellen sagt schon Frhr. v. Valvasor [siehe Von dem so genannten Thierlein Billich] 1689: "Es dienet aber diß Thierlein nicht zur Speise nur, sondern auch zum Kleiderschmuck. Denn die Fellen desselben werden in weitentlegene Länder und Königreiche verführt / als ins Römische Reich / Holland / Spanische Niderlanden / England / Frankreich / Italien etc. Die Kürsner betupffen solche kleine Fellen / mit dem Kalch; wovon solches Peltzwerck / oder Futter / alsdann schwarzlechte Tüpflein gewinnt / wie ein Tiger".

Die Zubereitung des Fells mit Kalk erhielt sich über Bechsteins Zeiten (Ende 18. Jahrhundert) bis in die Jetztzeit, liest man doch in Brehms Tierleben10, solche Felle kämen in Tafeln zu 16 Stück in den Handel, und der krainische Bilchfang repräsentiere in Buchenmastjahren mit 100 000 Exemplaren11 einen jährlichen Wert von 50-60 000 Gulden. Die Felle wurden zur österreichischen Zeit größtenteils in Laibach (Ljubljana) zugerichtet, die eigentliche Verarbeitung erfolgte jedoch in Wien und Paris; hauptsächlich wurden sie "naturell" zu Stolen, Besätzen, Muffen und Futter gebraucht. Nach dem ersten Weltkrieg sank die Anlieferung auf die europäischen Märkte aus den nunmehr jugoslawisch gewordenen Ländern auf ein Minimum12. Solange in der Krain Nationaltracht getragen wurde, waren die Pelzmützen, die man zur Winterszeit überall sehen konnte, aus Siebenschläferfell gefertigt; sie hießen "Polhovka"13.

Auch im Kaukasus - dem zweiten großen Verbreitungsgebiet - spielt das Siebenschläferfell eine Rolle, und zwar im Gegensatz zu der Rückwärtsentwicklung auf dem Balkan und den österreichischen Nachfolgeländern in dauernd zunehmendem Maße als Handelsobjekt. Ognew14 nennt das Fell schön, weich und mollig, und es hat einen höchsten Wert in der Zeit, da das Tier aus dem Winterschlaf aufwacht, bis zur 2. Augusthälfte, d.h. während 2 1/2 Monaten des Sommers, bis zum Beginn des intensiven Haarwechsels.

1 Lenz, H.O., Zoologie der alten Griechen und Römer. Gotha 1856
2 Wenn diese keine Früchte trugen, wurde mit Eicheln und Kastanien gefüttert.
3 Vgl. auch Blasius, J. H., Fauna der Wirbeltiere Deutschlands. Vieweg, Braunschweig 1857. Danach wurden solche Behälter in Pompeji ausgegraben.
4 Schon wenn ein Berg oder ein Fluß zwischen den nunmehr Zusammengesperrten gelegen habe, bissen sie sich tot.
5 Nach Keller, O., Antike Tierwelt, Leipzig 1909
6 Bechstein, I. M., Gemeinnützige Naturgeschichte Deutschlands nach allen drei Reichen der Natur. 4 Bände, 1. Auflage 1789-95, 2. Auflage 1801-09.
7 Meixner, A., Meine Erfahrungen mit dem Bilch (Glis glis L.). Z. Säugetierkunde. XV, 1940/43, S. 328-330.
8 Vgl. "Österreichs Weidwerk", 1951, S. 185. - Nach Mitteilung von Prof. Miklavic, Ljubljana vom 21. 6. 1960 werden in Slovenien die Bilche auch heute noch von der Bevölkerung als Speise geschätzt und mit Kartoffeln zubereitet.
9 Nach Keller, O., Antike Tierwelt, Leipzig 1909
10 Brehms Tierleben, 4. Aufl. 1911-18, bearbeitet von L. Heck (Säugetiere 1914), Neudruck 1925.
11 Unter Berücksichtigung des Fleisch-, Fett und Balgwertes; die Zahl von 100 000 Fellen scheint etwas hoch gegriffen, doch bringt K. Soffel (Bilderatlas zur Zoologie der Säugetiere Europas, Leipzig 1922) sogar noch weit höhere Zahlen für das Ergebnis des krainischen Bilchfanges in Mastjahren, nämlich annähernd 750 000 Stück.

12  Nach frdl. Mitteilung des Hermelin-Verlages, Leipzig, vom 4. 7. 1959.
13 Wagner, H., Vom Thierlein Pillich. Der Anblick. Z. Jagd, Fischerei, Jagdhundewesen ... 13. Jg., 1958, S. 44-46.
14 Ognew, S.J., Die Tiere der SSSR und der anliegenden Länder. V Die Nagetiere. Akad. d. Wissensch. d. SSSR, 1947, S. 430-470 (russisch).

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