DANTE GABRIEL ROSSETTI - Tod eines Wombat, 1869
Almut, Du hast das Bild entdeckt, nur Du konntest es finden. Dank, daß Du mich gleich
eingeweiht hast. Dante Gabriel Rossetti trauert um sein Wombat in einer einmaligen
Todesanzeige. In Wort und Bild erweist er dem schwanz- und namenlosen Wesen die letzte
Ehre. Kein Verlaß ist auf die Erinnerung - er bettet es in eine Zeichnung ein, und die
graphische Bahre wird zur Wiege der Unsterblichkeit: Wombat lebt!
»I« und »die« aber sind sein erstes und letztes Wort des Vierzeilers
von Tier und Tod.
»Ich« und »Sterben«!
Ich und sterben?
Memento Mori!
Ladies and Gentlemen: Dante Gabriel Rossetti:
I never reared a young Wombat
To glad me with his pin-hole eye
But when he was most sweet and fat
And tail-less, he was sure to die!
»He« nennt er das Wombat - Almut - ich versuch's:
Ich zog noch nie ein Wombat auf,
das mir so süßen Anblick bot;
feist, schwanzlos, und so günstig drauf,
Punktäugelchen - schon war es tot.
Im Werkverzeichnis, dem Catalogue Raisonne von Virginia Surtees, wird die
graphische Trauerarbeit exakt beschrieben:
»Rossetti kniet im Vordergrund und weint in ein sehr großes
Taschentuch, das sein ganzes Gesicht bedeckt. Auf dem Fußboden vor ihm liegt ein totes
Wombat auf dem Rücken. Links im Hintergrund eine Trauerweide - »a weeping willow«,
schön! - rechts ein Piedestal, ein Sockel, darauf eine Urne, die eine Inschrift trägt:
ein Datum; ein Rahmen aus schwarzer Tinte umgibt die Zeichnung.«
Sieben Zoll hoch und viereinhalb Zoll breit - als Normalpostkarte
könnt' er diese Totenklage nicht mehr verschicken - zwei feiste Wesen haben was
miteinander zu tun, kreuz- und querschraffiert der Wanst des einen, lichtvoll des anderen
liegender Bauch. In tiefste Dunkelheiten ist ihr Rand getaucht, geschlossen ihre Form, die
Augen zu. Kindlich die Strampelbeinchen legt der Liegende an, Männchen macht der andre,
stark gebaut, aus starren Formen und Flecken mit schwerer Hand gefügt, weltabgeschlossen
in der linken unteren Ecke - Dante Gabriel Wombat und sein Rossetti.
J. GOULD - Das Wombat, aus: »Die Säugetiere Australiens«, 1855
Wombat: im Englischen der sprichwörtliche Kinderschreck, bei uns Plumpsack genannt. Im
Zoo der »Plumpbeutler«, ein Beuteltier aus Australien; in Meyers Kleinem
Konversationslexikon von 1909 kommt er im sechsten Band als »Beutelmaus« vor oder
»australischer Dachs« (Phascolomys ursinus L.), »einziger Vertreter der Beutelmäuse,
95 cm lang, mit weicher, gesprenkelter Behaarung, in Tasmania, gräbt in Wäldern
Höhlungen und sucht seine Nahrung (Gras, Wurzeln) nachts. Sein Fleisch ist
wohlschmeckend, sein Fell gibt Pelzwerk.«
Rossetti wird von Wolfgang Kemp vorgeführt: »... runder weicher Hut,
einreihiger, offener Rock über ebenso einreihiger, aber eng geschlossener Weste, weite
ausbeulende Beinkleider ... Maler ... Bart ... bleiche Gesichtsfarbe ... außerdem
Dichter, Lyriker und ein absoluter Bohemien, wenn es je einen im mittelviktorianischen
England gab ... lebt mit einem seiner Modelle und mit befreundeten Malern und Dichtern in
der 'Chelsea Menagerie', einem Haus an der Themse, benannt nach den menschlichen und
tierischen Fabelwesen, die es bevölkern. Pfauen gab es in dem Garten, Waschbären,
Känguruhs, Zebus und Gürteltiere; im Hause lebten außer vielen Ziervögeln Murmeltiere
und ein Wombat. Dort ging alles so zu, wie ds Klischee vom Künstlerleben es haben will.
Nacht und Tag waren vertauscht, die Kette der Gelage und Feiern riß nicht ab, Bücher wie
Justine und Les fleurs du Mal wurden in diesem Haushalt abschnittweise
vorgelesen wie andernorts ein Dickens-Roman, es wurde viel gestritten, hart gearbeitet,
sehr viel Geld verdient und noch mehr ausgegeben.« (Aus: Wolfgang Kemp, John Ruskin,
1983.)
Wie kommen die beiden zusammen, die nur der Tod vom 6. November 1869 trennen konnte? Von
weit her kommt das Eine. 1790 zeichnet Thomas Bewick, der Erfinder des Holzstichs, für
sein Werk über die Quadrupeds, die Allgemeine Geschichte der Vierfüßler, eine,
wie er's nennt, »bärenähnliche Beutelratte«, nach dem Fell eines Wombat, das man tot
an Bord eines Schiffswracks gefunden hatte, im Jahr zuvor, als die Franzosen Revolution
machten. 1799 gibt ein Mr. Bass, der erste Engländer wohl, der's lebend gesehen, zu
Protokoll, es sei »ein untersetzter, verhockter, dicker, kurzbeiniger und ziemlich
unbeweglicher Vierbeiner«. Wir erkennen ihn in der Traueranzeige wieder.
1828 stirbt Schubert; Dante Gabriel Rossetti wird geboren; und zwei
Jahre drauf, 1830, wird Eugen Napoleon Neureuther von seinem Verleger nach Paris
geschickt, um Bilder der neuerlichen Revolution der Franzosen zu zeichnen; in Birmingham
erfindet Mr. Perry die industrielle Herstellung der stählernen Zeichenfeder, und der
Kinderschreck kommt nach England: Der Londoner Zoo kauft ein Wombat.
Die Jahre gehn dahin, 1848 ist wieder Revolution in Paris, in London
gründen sie die »Pre-Raphaelite-Brotherhood«, die Brüderschaft der Präraffaeliten,
eine Malergilde, die neue, schöne, gute und vor allem wahre Bilder malen wollte. Dabei:
Dante Gabriel Rossetti.
Nicht dabei: Wombat.
Noch nicht.
Ein Mr. Michael Archer bringt die beiden zwischen opulenten, römisch
numerierten Anzeigenseiten des Apollo-Magazins vom März 1965 zusammen: »Rossetti and his
Wombat«. Spätestens um 1857 sei er ihm erlegen. Wer wem? Wombetti dem Rossat. »Von da
an spielten Wombats eine herausragende Rolle in seinem Leben.« Im Leben eines englischen
Präraffaeliten der »Chelsea Menagerie« gibt es zwei Verpflichtungen: Er muß einen
Spleen und ein schmerzlich verworrenes Liebesleben haben. Rossettis Spleen: ein
schmerzlich verworrenes Liebesleben. Seine Liebe und Leidenschaft: Wombat. Einer der
Freunde, Trabanten und Jünger schreibt: »Rossetti war der Planet, um den wir kreisten,
wir ahmten seine Art zu sprechen nach. Alle schönen Frauen waren für uns 'stunners' -
Teufelskerle ... Die Wombats waren die schönsten unter den Geschöpfen Gottes.« Der
Planet erhielt 1857 einen Fresko-Auftrag, die Trabanten waren mit von der gutbezahlten
Partie. Während der Arbeit wurden die Fenster des Union Debating Room in Oxford
geweißelt, um das Licht zu dämpfen. Bald aber seien sie mit Skizzen bedeckt gewesen; sie
wurden in die Tünche gekratzt. Was für Skizzen? »Mostly of wombats«, hauptsächlich
Wombats, was sonst! Burne-Jones, schönheitsdurstiger Jünger, sei noch Jahre später in
die Kunst, diese Geschöpfe zu zeichnen, eingeweiht worden. Und was wurde in der großen
Burne-Jones-Ausstellung im Burlington Fine-Arts-Club 1898 gezeigt?
EDWARD BURNE-JONES - Wombat in der Wüste
Neben der Verzauberung Merlins sicher König Cophetua
und das Bettlermädchen, der Garten des Pan, die Goldene Treppe und
die Tiefen des Meeres. Und einige Skizzen von ihm, vom Wombat.
Rossetti führte seine Trabanten oft in den Zoo, um dort - was sonst -
Wombats zu gucken. Ein Billet an Madox Brown: »Dear Brown, Lizzi und ich schlagen vor,
uns morgen um zwei Uhr im Zoo zu treffen. Treffpunkt: das Wombat-Gehege.« »Wombats
Lair« - Max Beerbohm hat diese Treffen gezeichnet.
MAX BEERBOHM - Zeichnung aus der Serie »Rossetti und seine Freunde«,1916.
Der Text unten links lautet: »Mr. William Bell Scott fragt sich, was diese Burschen
eigentlich in Gabriel sehen.«
Ein Kult war's nachgerade geworden. Und, Almut, 1869 war es soweit: Für acht Pfund
kaufte Rossetti beim Tierhändler Jamrach ein Dings, ein Wombat natürlich. Als es
geliefert wurde, wer war nicht zu Hause? In tiefster Krisis, verstrickt in verworrene
schmerzliche Leidenschaften, in finsterster Angst vor Erblindung hatte man ihn zur
Erholung aufs Land nach Schottland geschickt.
Janey, Jane Morris, deren Schönheit einen funkelnden Abglanz auf seine
Bilder wirft, war in sein Leben getreten, die Frau seines Präraffaeliten-Bruders Morris.
Er hat Janey samt ihrem dicken Morris gezeichnet.
DANTE GABRIEL ROSSETTI - Mr. und Mrs. Morris in Bad Ems, ca. 1869
Weib und Wombat glänzend, ja strahlend zu vereinen, das sollte leuchtendes Ziel fortan sein. Sein Atelier-Diener, Studio-Assistant, sein Schlattenschammes Treffry Dunn meldet ihm die Ankunft von Wombat in Cheyne Walk, dem Haus in Chelsea.
TREFFRY DUNN - Wombat und Kaninchen, 1869
Graphisch, wie es sich gehört: Er zeichnet Wombat und Kaninchen, wie sie ein Kohlblatt mümmeln, und er muß in die Knie gegangen sein, um die beiden so flach von oben aufs Bild zu bringen.
Wombat und Kaninchen im Käfig - beim Gitterwerk ist das vergebliche Bemühen um ein
Schema sichtbar, Bleistiftzeichnungen, nur der Wahrheit verpflichtet, dokumentarische
Graphik, die Rossetti umgehend »portraits« nennt und an die Schönste aller fremden
Frauen schickt: »Was glaubst du wohl? Ich hab ein Wombat in Chelsea! [...] Your
affectionate D. Gabriel R.«
Und ein Gedichtel legt er bei - spielend überbietet er den
Berichterstatter Dunn mit einem lyrischen Kunststückchen:
O how the family affections combat
within this heart, and each hour flies to bomb at
my burning soul, neither from owl or from bat
can peace be gained, until, I clasp my wombat.
Die doof-raffinierten Wombat-Reime - Whistler hat recht: Er liebt das Tier des komischen Namens wegen - können nicht verdeutscht werden. Möge ihm Janey diese erbarmungslosen Späße verziehen haben - in orgelndem Odenrhythmus klappert er los.
O welche widerstreitenden Gefühle
im Herzen drin, jedwede Stund' mit neuen Bomben
trifft die entflammte Seele mein', von Eule nicht und nicht von Fledermaus
kann Frieden kommen, bis ich mein Wombat in den Armen halte...
Nun er die beiden miteinander bekannt gemacht, knüpft die Verbindung enger er, vereint
sie endlich, groß und klein, licht und duster, la belle et la bête.
Auf einer Zeichnung - wo sonst - findet die Vereinigung der Gegensätze,
die mystische Hochzeit, statt. Janey Morris and the Wombat, auch aus dem 69er
Jahr; Virginia Surtees zitiert einen Brief eines interessierten Zeitgenossen: »Mrs.
Morris mit Heiligenschein führt ein Wombat am Bändel über die Wolkenfluren des
Himmels.« Ein Reigen zweier seliger Geister, Wombat dürfte zu der Zeit bereits
aufgehört haben, sterblich zu sein. Dante Gabriel hat auf siebeneinviertel mal
viereinhalb Zoll die innige und ewige Verbindung geschaffen - seine Zaubereien binden
wieder, was die Zeit so streng geteilt.
DANTE GABRIEL ROSSETTI - Janey Morris und das Wombat, ca. 1869
Die weiteren irdischen Ereignisse sind rasch erzählt: »Das Wombat ist eine Freude, ein Triumph, ein Entzücken, ein Wahnsinn« - schreibt Rossetti seinem Bruder. Schwester Rossetti huldigt der »mania for animals« des Bruders mit einem lyrischen »Schrein im italienischen Geschmack« - einsetzend mit der klingenden Fanfare:
O Uommibatto
Agil, giocondo
Che ti sei fatto
Liscio e rotondo!
Deh non fuggire
Qual vagabondo
Non disparire
Forando il mondo
Peso davero
D'un emisfero
Non lieve il pondo.
Dieter Richter versucht eine Übersetzung:
O Wombat,
Lebhaft und heiter,
Was bist du glatt und rund geworden!
Ach flieh nicht
als Vagabund,
Verschwinde nicht,
die Welt zu durchlöchern,
Bürde wahrlich
des halben Erdballs,
Kein leichtes Gewicht.
Uommibatto, il giocondo, macht Epoche bei Familie Rossetti. Bruder William Michael macht nun auch Wombat-Zeichnungen, »to amuse his children« - sicher hatten die Kinder ihre Freude dran, wenn sie ihm beim Zeichnen zugucken durften: Da standen sie um sein »pencil-book«, und er zeigte, wie man den Kinderschreck bannt: in eine Eiform nämlich, ins Eirund, in die Grundform des Plumpsacks.
WILLIAM MICHAEL ROSSETTI - Wombat-Skizze, 1869
Zu den Wombat-Fans gehörte er sonst nicht, »... das
schwerfälligste, dümmste, hilfloseste aller Wombats, mit einem Anflug von kindlicher
Zwecklosigkeit.« Hm - auf jeden Fall schüttelt der Bruder den Kopf, als er - noch vor
Gabriel - das »beast« zum erstenmal sieht: »Er« - auch er sagt »er« - »ist mir sehr
ergeben und folgt einem im ganzen Zimmer herum, kuschelt sich an einen und nagt einem an
den Waden und Hosen.«
Treu notiert aber der sachliche Bruder die ersten Krankheitszeichen. Es
scheine sein Augenlicht zu verlieren, »was vielen Wombats widerfährt« - und am 6.
November 1869 ist es tot. Dante Gabriel Rossetti inszeniert seinen graphischen und
lyrischen »pomp funèbre«.
Einen Monat später notiert der Bruder: »Das arme Wombat ist nun
ausgestopft worden und steht in der Eingangshalle auf Posten. Seine Wirkung ist nicht
zufriedenstellend.«
Almut, ich weiß nicht, was Bruder William nicht paßt - nach seinem
Ableben verbreitete sich der Wombat-Kult, er verflachte wohl auch; Legenden kamen in
Umlauf: Zigarren hab's gefressen, kistenweis, in der Lampenschale der Wohnhalle hab's
seine Lagerstatt gehabt; der Mrs. Virtue Tebbs, der Frau des Rechtsanwalts, hab's den Hut
gefressen, als die Dame dem Meister für ein Portrait saß. Überhaupt schlug's die
Besucher in seinen Bann, so hab's - kann aber den Jahreszahlen nach nicht stimmen - dem
Mr. Dodgson Anregung für gewisse Motive von Alice im Wunderland, das er als
Lewis Carroll schrieb, geliefert.
Von Rossetti selbst überliefert ist die Szene mit John Ruskin, dem
Hohepriester der Künste und Apostel der Pre-Raphaelite-Brotherhood: »Ruskin sprach am
nächsten Tag vor und wollte anscheinend auf den großartigen Plan hinaus, wir sollten uns
zusammentun, um die Welt zu erheitern. Ich sagte ihm, keins der Wesen, die ich je
kennengelernt habe, sei der Mühe wert. Du solltest ihn gesehen haben, wie er die Hände
und Seele rang über seine verlorene Spezies, während Wombat sich ihm zwischen Rock und
Weste kuschelte.«
WILLIAM BELL SCOTT - Vermeintliches Wombat in Rossettis Schoß, 1871
Bis zuletzt - 1882 starb Dante Gabriel Rossetti - hing eine Zeichnung von William Bell Scott in seinem Atelier - gerahmt und hinter Glas. Datiert vom 9. Februar 1871, auf dem Papier mit Briefkopf der Rossetti-Residence »Cheyne Walk« und der Aufschrift auf der Rückseite: »Rossetti's Wombat seated in his lap« - 1871 lebte kein Wombat mehr in Rossettis Häusel, er hatte zwar gleich nach dem 6. November noch ein zweites von Jamrach gekauft. Auch dieses starb rasch - in Frankreich war Krieg, und in Paris wurde eine Revolution zusammengeschossen -, aber der Mythos von der Allgegenwart des Wombat vertrug sich prächtig mit solchen Ungleichzeitigkeiten. Bruder William, klaren Kopfes, versucht zu korrigieren und beschreibt in der Biographie seines Bruders, wie dieser dagesessen habe, seine Tiere halbstundenlang in den Armen gewiegt und dem Murmeltier sachte den Kopf an die Hinterpfoten geführt habe - das aber sei mit dem Wombat nicht möglich gewesen. Und Bells Zeichnung zeige ein Murmeltier...
The Wombat
By Ogden Nash
The wombat lives across the seas,
Among the far Antipodes.
He may exist on nuts and berries,
Or then again, on missionaries;
His distant habitat precludes
Conclusive knowledge of his moods.
But I would not engage the wombat
In any form of mortal combat.