Haselmaus - Muscardinus avellanarius


(aus Brehms Tierleben)


Zu den Schlafmäusen oder Bilchen gehört die Haselmaus. In Gestalt und Wesen steht sie den Eichhörnchen nahe. Die Haselmäuse haben einen schmalen Kopf mit mehr oder minder spitzer Schnauze, großen Augen und großen Ohren. Als Aufenthaltsort lieben sie hügelige und bergige Gegenden, dabei Wälder und Vorwälder, Haine und Gärten. Sie leben auf und in den Bäumen, seltener in selbstgegrabenen Erdhöhlen zwischen Baumwurzeln oder in Fels- und Mauerspalten. Die meisten von ihnen durchschlafen den Tag und gehen nur während des Morgen- und Abenddunkels ihrer Nahrung nach. Aus diesem Grunde sieht man sie selten. Nach Eintritt der kälteren Jahreszeit halten sie einen Winterschlaf.

Die Haselmaus ist eines der niedlichsten, anmutigsten und behendesten Geschöpfe unter allen europäischen Nagetieren. Sie zeichnet sich aus durch ihre zierliche Gestalt und Schönheit der Färbung. Das Tierchen ist ungefähr so groß wie unsere Hausmaus. Seine Gesamtlänge beträgt 14 cm, wovon fast die Hälfte auf den Schwanz kommt. Der dichte und anliegende, aus glänzendem und weichem Haar bestehende Pelz ist gleichmäßig gelblichrot, unten etwas heller. An der Brust und der Kehle ist er weiß. Augengegend und Ohren sind hellrötlich, die Füße rot. Die Oberseite des Schwanzes ist bräunlichrot.

Mitteleuropa ist die Heimat der kleinen Haselmaus, Schweden und England sind ihre nördlichste, Toscana und die nördliche Türkei ihre südliche Grenze. Ostwärts geht sie nicht über Ungarn und Siebenbürgen hinaus. Besonders häufig ist sie in Tirol, Kärnten und der Steiermark. Sie lebt ebensogut in der Ebene wie im Gebirge und geht über den Laubholzgürtel nach oben, steigt also bis etwa 1500 m über das Meer empor. Niederes Gebüsch und Hecken, am liebsten Haselnußdickichte bilden ihre bevorzugten Wohnsitze, in denen sie sich besonders wohl fühlt.

Bei Tage liegt die Haselmaus verborgen und schläft, während sie nachts auf Nahrungssuche geht. Nüsse, Eicheln, harte Samen, saftige Früchte, Beeren und Baumknospen verzehrt sie gern. Am liebsten aber nagt sie Haselnüsse. Als echte Baumtiere klettern diese kleinen Mäuse selbst auf den dünnsten Zweigen herum, nicht nur nach Art der Eichhörnchen und anderer Schläfer, sondern auch nach Art der Affen. Denn oft kommt es vor, daß sie sich mit ihren Hinterbeinen an einem Zweig aufhängen, um eine tiefer hängende Nuß zu erreichen. Ebenso häufig sieht man sie gerade so sicher auf der oberen wie an der unteren Seite der Äste hinlaufen. Mitte Oktober ziehen sie sich in ihre Schlupfwinkel zurück, wo sie schon Wintervorrat gesammelt haben. Sie bereiten sich aus Reisern, Laub, Nadeln, Moos und Gras eine kugelige Hülle, in die sie sich zum Knäuel zusammenrollen.

Haselmäuse werden auch von Liebhabern gehalten. Nicht nur wegen ihres schönen Aussehens, sondern auch weil sie sehr bald vertraut werden. Besonders in England ist die Haselmaus in den Wohnungen von Tierfreunden schon heimisch. Bei uns stößt man sich immer noch an dem Namen "Maus”. Wer möchte auch schon eine "Maus” - wenn er den kleinen Kerl nur dem Namen nach kennt - als Stubentier und Kinderfreund im Terrarium oder in einer Kiste halten? Wohl niemand. Doch die "Visistenkarte” war sicher nicht das alleinige Hindernis, der Haselmaus das gleiche Gastrecht in unserem Heim zu gewähren wie Goldhamster und Feuersalamander, Schildkröte und Kanarienvogel. Vielmehr sind es ihre Heimlichkeit und ihre Seltenheit in vielen Wäldern, ihr überwiegendes Nachtleben und ihre - Schläfrigkeit, die sie so wenig bekannt werden ließen. Das ist eigentlich schade; denn sie kann sich mit allen anderen Haustieren messen: Sie ist anhänglich, sauber und folgsam.*

Aber um sie lieben- und schätzenzulernen, müssen wir ihr heimliches Leben kennen. Was wir bis heute darüber wissen, ist noch nicht viel. Die Haselmaus gibt uns auch wenig Gelegenheit, in ihr Reich zu blicken. Es liegt versteckt in hohem Buschwerk, oft geschützt von abwehrenden Brombeerranken. Wie merkwürdig zum Beispiel, daß ihre Kinder erst im August geboren werden! Nur zwei Monate haben die Kleinen Zeit, sich in der Waldeinsamkeit umzusehen. Dann - wie schon erwähnt - geht die Haselmausfamilie im Oktober schlafen. Weder Murmeltier noch Hamster sind so schlafsüchtig wie die Haselmaus. Sie erwacht nicht einmal, wenn sie kühlen Winden ausgesetzt wird. Dann dreht sie sich schlafend so lange, bis sie wieder geschützt liegt. Leichte Wärme macht sie schläfriger als Kälte. Bei einem Grad über Null verfällt sie in todesähnliche Erstarrung und atmet in 42 Minuten 147mal. Bei zehn Grad über Null nur rund 50mal im gleichen Zeitraum. Sieben Monate ist die Haselmaus nicht für uns zu sprechen. Sie schläft dann ununterbrochen. Aber vielleicht gelingt es, sie bei gleichbleibender Zimmertemperatur munter zu erhalten.


* Die Haselmaus hat gegenüber dem Goldhamster, der erst in den vierziger Jahren entdeckt wurde und seitdem ihre biologische Nische als Haustier ausfüllt, tatsächlich einen entscheidenden Nachteil: Packt man sie am pelzigen orangefarbenen Schwanz, reißt er ab. Zurück bleibt eine unansehnliche Wirbelsäule, die dann auch bald abfällt. Jetzt wächst ihr hinten ein kleiner Puschel, aber so hübsch wie vorher wird die Haselmaus nicht mehr. Diese Sollbruchstelle am Schwanz weisen alle Bilche und einige andere Mäuse auf; sie bietet einen gewissen Schutz vor Feinden. In einer Siebenschläferkolonie auf Kreta wurden von Wissenschaftlern mehr schwanzlose Bilche gezählt als intakte, was vor allem auf interne Streitigkeiten zurückgeführt wird.

Live-Dokumente: Eine französische Haselmaus

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